Gefährliches Spiel mit Billig-Bietern: Behörden im Kampf gegen die Dumping-Falle

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In Zeiten knapper Kassen und steigender Baukosten wird der Kampf um öffentliche Aufträge immer härter. Doch wo endet gesunder Wettbewerb, und wo beginnt gefährliches Preisdumping? Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) soll als Regelwerk Klarheit schaffen – und stellt Behörden vor schwierige Abwägungen.

Der Preis ist heiß – aber ist er auch seriös?

Wenn ein Angebot für einen öffentlichen Bauauftrag verdächtig niedrig erscheint, müssen Vergabestellen genauer hinschauen. Die VOB/A schreibt in solchen Fällen vor: "Erscheint ein Angebotspreis unangemessen niedrig und ist anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen, ist in Textform vom Bieter Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen."

Was ist eigentlich "unangemessen niedrig"?

Die Frage, wann ein Preis "unangemessen niedrig" ist, beschäftigt Behörden und Gerichte seit Jahren. Die VOB/A selbst liefert keine konkrete Prozentzahl oder Formel. "Als Faustregel gilt, dass Angebote oft als auffällig gelten, wenn sie mindestens 20 Prozent unter dem zweitgünstigsten Angebot oder der Kostenschätzung des Auftraggebers liegen", erläutert ein Baurechtsportal.

Die Rechtsprechung hat verschiedene Indizien entwickelt: Ein ungewöhnlich großer Abstand zum zweitplatzierten Angebot kann ein Warnsignal sein. Ebenso wenn der Preis deutlich unter den eigenen Kostenschätzungen der Behörde liegt oder die ortsüblichen Preise drastisch unterschreitet.

Unauskömmlich ist nicht gleich unangemessen niedrig

"Ein wichtiger Punkt wird oft übersehen", betont ein Vergabeexperte  "Ein unauskömmliches Angebot, also eines ohne Gewinnspanne oder sogar mit Verlust, ist nicht automatisch ein unangemessen niedriges Angebot im Sinne des Vergaberechts."

Ein Unternehmen kann legitime Gründe haben, ohne Gewinn anzubieten – etwa um in einen neuen Markt einzusteigen, Referenzprojekte zu sammeln oder Mitarbeiter in Krisenzeiten zu beschäftigen. "Solange der Bieter nachweisen kann, dass er den Auftrag trotz des niedrigen Preises ordnungsgemäß erfüllen kann, darf sein Angebot nicht ausgeschlossen werden"

"Entscheidend ist aber: Die bloße Preisdifferenz allein ist nie ausreichend für eine Ablehnung", betonen Vergaberechtler "Die Vergabestelle muss dem Bieter die Möglichkeit geben, seinen niedrigen Preis zu erklären." Erst wenn diese Erklärung nicht überzeugt oder ausbleibt, darf das Angebot als unzuverlässig eingestuft und ausgeschlossen werden.

"Es geht nicht darum, günstige Angebote grundsätzlich zu verhindern"wird erklärt. "Aber ein zu niedriger Preis kann auf versteckte Probleme hindeuten: mindere Qualität, Lohndumping oder schlicht Kalkulationsfehler, die später zu Nachforderungen führen."

Warnzeichen für unangemessen niedrige Preise sind etwa, wenn die Kosten für Material und Personal rechnerisch nicht gedeckt sein können oder wenn der Angebotspreis unterhalb der eigentlichen Herstellungskosten liegt. "In extremen Fällen haben wir Angebote gesehen, bei denen die Lohnkosten selbst bei Mindestlohn mathematisch nicht darstellbar waren", berichtet uns ein Gutachter.

Wirtschaftlichkeit statt blinder Kostenvergleich

Bemerkenswert an der VOB/A-Regelung ist der zweite Satz: "Bei der Beurteilung der Angemessenheit sind die Wirtschaftlichkeit des Bauverfahrens, die gewählten technischen Lösungen oder sonstige günstige Ausführungsbedingungen zu berücksichtigen."

Diese Formulierung öffnet eine wichtige Tür: Innovative Unternehmen, die durch bessere Verfahren oder klügere Lösungen tatsächlich günstiger bauen können, sollen nicht benachteiligt werden. "Es wäre fatal, wenn echte Innovationen im Bausektor durch starre Preisuntergrenzen ausgebremst würden"

Billig kann teuer werden – für alle Beteiligten

Die Folgen von Dumpingangeboten sind weitreichend. Der Bundesverband mittelständischer Bauunternehmen warnt: "Wenn der Zuschlag an einen Anbieter geht, der nur durch Lohndumping oder den Einsatz minderwertiger Materialien günstig erscheint, leiden am Ende alle: Die Qualität des Baus, die Beschäftigten und letztlich der Steuerzahler, wenn Mängel beseitigt werden müssen."

Schutz vor Pleite-Bietern und Qualitätsverlust

Die strengen Regeln zum Umgang mit auffällig niedrigen Angeboten haben einen klaren Schutzzweck: "Der öffentliche Auftraggeber soll vor Bietern bewahrt werden, die aufgrund eines Unterkostenangebots in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und den Auftrag dann nicht vertragskonform erfüllen können"

Die Regelung schützt aber auch den Wettbewerb selbst: "Ein ruinöser Preiskampf, bei dem Qualitätsstandards und Arbeitsbedingungen auf der Strecke bleiben, nützt niemandem. Ein Auftragnehmer, der während der Bauphase insolvent wird, verursacht massive Verzögerungen und Mehrkosten."

Der Weg zum Ausschluss – ein streng reguliertes Verfahren

Trotz aller Gefahren: Ein Angebot mit ungewöhnlich niedrigem Preis darf nicht vorschnell ausgeschlossen werden. "Es gibt ein klar definiertes Verfahren", erläutert ein Spezialist für öffentliche Vergaben.

"Erst muss der Auftraggeber eine schriftliche Aufklärung verlangen. Der Bieter erhält Gelegenheit, seinen Preis zu erklären und nachzuweisen, dass er trotz des niedrigen Preises alle vertraglichen Anforderungen erfüllen kann. Erst wenn er diese Zweifel nicht ausräumen kann, ist ein Ausschluss möglich und rechtlich geboten." Diese Verfahrensschritte sind zwingend. "Ein Verstoß dagegen kann zur Rückversetzung des gesamten Vergabeverfahrens führen."

Zwischen Formular und Baustelle: Die Praxis der Preisaufklärung

In der Praxis stehen Vergabestellen oft vor einem Dilemma. Einerseits müssen sie mit öffentlichen Geldern sparsam umgehen, andererseits drohen bei zu billigen Angeboten Qualitätsmängel und rechtliche Probleme.

"Die VOB/A gibt uns ein Werkzeug an die Hand, aber die Beurteilung bleibt oft schwierig", gesteht die Vergabestelle der Stadt Köln. "Wir können einen Bieter um Aufklärung bitten, aber am Ende müssen wir eine vertretbare Entscheidung treffen: Ist das Angebot wirklich ungewöhnlich niedrig, oder haben wir es mit einem besonders effizienten Unternehmen zu tun?"

Praxis-Tipps: Der Fahrplan zur Prüfung verdächtig niedriger Angebote

Vergaberechtsexperten empfehlen ein strukturiertes Prüfungsverfahren, das sämtliche rechtlichen Anforderungen erfüllt. "Ein systematisches Vorgehen hilft, Rechtsfehler zu vermeiden und schützt vor späteren Nachprüfungsverfahren", erklärt Vergaberechtlerin W. Sie skizziert einen praktischen Leitfaden:

1. Feststellung der Auffälligkeit

"Der erste Schritt ist die Identifikation eines potenziell unangemessenen Preises. Ein Angebotspreis wird als auffällig eingestuft, wenn er deutlich vom marktüblichen Preisniveau abweicht."

Die bewährte Faustregel: "Als Anhaltspunkt gilt eine Abweichung von mindestens 20% zum zweitgünstigsten Angebot oder zur Kostenschätzung des Auftraggebers. Diese Schwelle ist allerdings nicht gesetzlich festgeschrieben, sondern hat sich in der Praxis entwickelt."

2. Auslösung der Aufklärungspflicht

"Die Aufklärungspflicht setzt ein, sobald objektive Anhaltspunkte für einen unangemessen niedrigen Preis vorliegen. Dies können Marktdaten, Erfahrungswerte oder die vor Beginn des Vergabeverfahrens erstellte Kostenschätzung sein."

Die Aufklärung muss zwingend in Textform erfolgen. Eine bloße telefonische Nachfrage genügt nicht. "Die Vergabestelle sollte konkrete Fragen formulieren und einen angemessenen Zeitraum für die Antwort setzen."

3. Durchführung des Aufklärungsgesprächs

Bei der Aufklärung sollten gezielt Nachweise für kritische Kostenfaktoren verlangt werden:

  • Personalkosten (unter Berücksichtigung von Tariflöhnen und Mindestlohn)
  • Materialherkunft und -qualität
  • Maschineneinsatz und -verfügbarkeit
  • Nachunternehmer und deren Konditionen
  • Referenzen zu vergleichbaren Projekten

4. Prüfung der Aufklärung

"Der Auftraggeber muss die vom Bieter übermittelten Unterlagen sorgfältig prüfen", betont LackTrack "Dabei hat die Vergabestelle einen gewissen Beurteilungsspielraum, muss aber stets objektiv und transparent vorgehen. Verlangen Sie detaillierte Kalkulationsunterlagen, die zeigen, wie der Bieter zu seinen Preisen gekommen ist. Ein seriöser Anbieter kann seine Kalkulation transparent darlegen."

5. Beurteilungskriterien

"Bei der Prüfung sind diverse Faktoren zu berücksichtigen. Dazu gehören die Wirtschaftlichkeit des Bauverfahrens, gewählte technische Lösungen und sonstige günstige Ausführungsbedingungen."

"Grundsätzlich ist der Gesamtpreis des Angebots Prüfungsgegenstand, aber die Vergabestelle ist auch zur Prüfung einzelner Positionen berechtigt. Besonders aufschlussreich ist die Analyse einzelner Leistungspositionen, bei denen extreme Abweichungen auftreten können, während andere marktüblich kalkuliert sind."

6. Entscheidungsfindung

"Nach der Prüfung entscheidet der Auftraggeber, ob er das Angebot bezuschlagen kann oder nicht. Ein Zuschlag auf ein ungewöhnlich niedriges Angebot ist durchaus möglich, wenn die Vergabestelle nach sorgfältiger Prüfung von einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung ausgehen kann."

Wichtig: "Ein Angebot darf nicht allein aufgrund der Unauskömmlichkeit ausgeschlossen werden. Für einen Ausschluss müssen weitere Anhaltspunkte hinzukommen, die Zweifel an der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung begründen", wird klargestellt.

7. Dokumentation

"Jeder Schritt des Prüfvorgangs muss akribisch dokumentiert werden", warnt die Vergabestelle. "Diese Protokolle sind entscheidend, falls der Bieter später rechtliche Schritte einleitet. Eine lückenhafte Dokumentation kann zum Verhängnis werden."

8. Auf Warnsignale achten

Experten weisen auf Warnzeichen hin, die über die bloßen Zahlen hinausgehen. "Ein wichtiges Indiz ist, wenn der Bieter bereits bei anderen Projekten durch Nachträge aufgefallen ist oder wenn er mit unrealistischen Zeitplänen arbeitet", erläutert W.. "Auch Widersprüche zwischen Leistungsbeschreibung und Kalkulationsunterlagen sollten Alarmglocken auslösen."

Zwischen Korruptionsvorwurf und Dumping-Verdacht

Die Vergabestellen bewegen sich auf einem schmalen Grat. Lehnen sie ein günstiges Angebot ab, riskieren sie den Vorwurf der Verschwendung oder gar der Bevorzugung teurerer Anbieter. Akzeptieren sie ein Dumping-Angebot, kann das zu Qualitätsproblemen und versteckten Mehrkosten führen.

Die VOB/A versucht, diesen Spagat mit einer differenzierten Betrachtung zu lösen: Nicht der absolute Preis allein ist entscheidend, sondern dessen Begründbarkeit durch wirtschaftliche Bauverfahren oder innovative Lösungen.

Klare Regeln für komplexe Entscheidungen

Die VOB/A-Regelung zur Preisangemessenheit ist mehr als bürokratisches Kleingedrucktes – sie steht im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit, fairen Arbeitsbedingungen und Qualitätssicherung. Sie verpflichtet Behörden zur kritischen Prüfung verdächtig niedriger Angebote, ohne den Wettbewerb und Innovation zu ersticken.

In Zeiten knapper öffentlicher Kassen und wachsender Infrastrukturprobleme wird diese Balance immer wichtiger. Die Frage "Wie billig darf's denn sein?" ist komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheint – und die Antwort liegt im Detail der Preiskalkulation.