Die Vorstellung, dass eine Erhöhung der Geldmenge automatisch zu Inflation führen muss, gehört zu den hartnäckigsten Mythen der Wirtschaftspolitik. Während Kritiker der Zentralbanken regelmäßig vor der "Gelddruckmaschine" warnen, zeigt die wirtschaftliche Realität ein deutlich komplexeres Bild.
Die Theorie und ihre Grenzen
Die klassische Quantitätstheorie des Geldes, die auf Ökonomen des Monetarismus zurückgeht, postuliert einen direkten Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau. Doch in der Praxis hat sich gezeigt: Diese Theorie greift zu kurz. Die Vorstellung, dass mehr Geld automatisch zu höheren Preisen führt, ignoriert die Vielschichtigkeit moderner Wirtschaftssysteme. Entscheidend ist nicht die Menge des Geldes, sondern vor allem seine Umlaufgeschwindigkeit und die reale Wirtschaftsleistung.
Die Erfahrungen nach der Finanzkrise
Nach der globalen Finanzkrise 2008 haben Zentralbanken weltweit die Geldmenge durch Anleihekaufprogramme massiv ausgeweitet. Die befürchtete Hyperinflation blieb jedoch aus. Im Gegenteil: Viele Industrieländer kämpften jahrelang mit zu niedriger Inflation.
"Das zusätzliche Geld landete größtenteils in den Bilanzen der Banken und floss nicht in die Realwirtschaft", erläutern Wirtschaftsexperten "Ohne erhöhte Nachfrage gibt es keinen Preisdruck."
Liquiditätsfalle und andere Faktoren
Ökonomen sprechen von einer "Liquiditätsfalle", wenn trotz niedriger Zinsen und hoher Geldmenge die Investitionen ausbleiben. Unternehmen investieren nicht, nur weil Geld billig ist – sie brauchen Absatzchancen und Zukunftsvertrauen.
Gleichzeitig wirken strukturelle Faktoren inflationsdämpfend:
- Globalisierung und internationale Arbeitsteilung
- Technologischer Fortschritt und Produktivitätssteigerungen
- Demografischer Wandel in vielen Industrieländern
Die Produktion wird effizienter, Lieferketten globaler. Das hat einen preisdämpfenden Effekt, der dem Geldmengenwachstum entgegenwirkt.
Lehren aus der Post-Corona-Inflation
Die Inflationswelle nach der Corona-Pandemie wird häufig als Beweis für die Geldmengentheorie angeführt. Doch auch hier waren andere Faktoren entscheidend:
Die Inflation nach Corona war primär ein Angebotsschock. Unterbrochene Lieferketten, Rohstoffknappheit und Nachholeffekte nach der Pandemie trafen auf eine Wirtschaft mit strukturellen Engpässen.
Die Perspektive der modernen Makroökonomie
Die Modern Monetary Theory (MMT) bietet einen radikal anderen Blick auf das Verhältnis von Geldmenge und Inflation. Maurice Höfgen, einer der prominentesten Vertreter der MMT im deutschsprachigen Raum, betont: "Ein monetär souveräner Staat kann nicht pleite gehen und die Höhe der Staatsausgaben wird nicht durch Steuereinnahmen begrenzt." Inflation ist primär eine Frage der realen Ressourcenauslastung. "Inflation entsteht, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage das Produktionspotenzial übersteigt", erklärt Höfgen. "Die Geldmenge selbst ist ein nachrangiger Faktor."
Nach dieser Auffassung sollte die Geldpolitik nicht auf Inflationskontrolle ausgerichtet sein, sondern die Fiskalpolitik auf Vollbeschäftigung. Steuern dienen dabei nicht der Staatsfinanzierung, sondern der Steuerung der Nachfrage.
"In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und ungenutzter Kapazitäten kann der Staat bedenkenlos mehr ausgeben, ohne inflationäre Effekte befürchten zu müssen", so Höfgen. "Der wahre Engpass sind die realen Ressourcen, nicht das Geld."
Schlussfolgerungen für die Wirtschaftspolitik
Die Erkenntnis, dass die Geldmenge kaum inflationsbestimmend ist, hat weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik:
- Zentralbanken müssen die Gesamtheit der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Blick behalten
- Eine Fokussierung auf Geldmengenaggregate allein ist zu kurzsichtig.
- Die simple Gleichung "mehr Geld gleich mehr Inflation" hält der wirtschaftlichen Realität nicht stand.
Die Debatte zeigt: Wirtschaftliche Zusammenhänge sind komplexer als einfache Formeln suggerieren. Eine differenzierte Betrachtung ist notwendig – gerade in Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche.