ETS2-Verschiebung: Die teure Illusion einer Atempause

Warum der verschobene CO2-Handel die Bauwirtschaft härter treffen wird als gedacht

Die Europäische Union hat eine weitreichende Entscheidung getroffen: Der neue Emissionshandel für Gebäude und Verkehr (ETS2) startet nun erst 2028 statt wie ursprünglich geplant 2027. Was auf den ersten Blick nach einer Atempause klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als zweischneidiges Schwert – insbesondere für die Bauwirtschaft und den Klimaschutz.

Die neuen Eckdaten auf einen Blick

Bis 2026 bewegt sich der CO2-Preis in einem Korridor von 55 bis 65 Euro pro Tonne. Ab 2028 übernimmt dann der Markt das Ruder: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Die EU-Kommission rechnet fest damit, dass die Preise steigen werden – eine bewusste Strategie, um den Umstieg auf CO2-arme Alternativen zu beschleunigen. Ein Klimasozialfonds soll die Mehrbelastung für Verbraucher abfedern.

Verlorene Zeit im Kampf gegen den Klimawandel

Aus klimapolitischer Sicht ist die Verschiebung ein herber Rückschlag. Jedes Jahr zählt im Wettlauf gegen die Erderwärmung. Der Gebäudesektor ist in Deutschland für etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich – ein gewaltiger Hebel, der nun ein Jahr länger ungenutzt bleibt.

Die Verzögerung bedeutet konkret: Tausende Tonnen CO2, die zusätzlich in die Atmosphäre gelangen. Investitionsentscheidungen, die sich am CO2-Preis orientieren würden, werden auf die lange Bank geschoben. Der dringend benötigte Sanierungsschub im Gebäudebestand verzögert sich weiter. Während andere Länder bereits ambitionierte Klimaziele verfolgen, verliert Europa wertvolle Monate.

Die Bauwirtschaft in der Zwickmühle

Für die Baubranche bringt die ETS2-Verschiebung paradoxerweise mehr Probleme als Lösungen:

Planungsunsicherheit statt Stabilität

Bauunternehmen und Investoren brauchen langfristige Planungssicherheit. Die Verschiebung schafft das Gegenteil: Welche Technologien lohnen sich? Wann rechnen sich energetische Sanierungen? Die Unwägbarkeiten nehmen zu, nicht ab. Projekte werden verzögert, weil niemand weiß, ob sich Investitionen in zwei oder drei Jahren noch rechnen.

Der Preis-Schock kommt trotzdem – nur später

Die höheren CO2-Preise sind nicht vom Tisch, sondern nur verschoben. Ab 2028 wird der Markt die Preise bestimmen – mit möglicherweise drastischeren Ausschlägen als in einem kontrollierten Einführungsszenario. Bauunternehmen, die jetzt nicht vorsorgen, könnten dann von steigenden Materialkosten überrascht werden. Baustoffe wie Zement, Stahl und Dämmmaterialien werden teurer, Transportkosten steigen.

Wettbewerbsnachteil für Vorreiter

Unternehmen, die bereits in klimafreundliche Technologien investiert haben, werden bestraft. Ihre Wettbewerber können ein Jahr länger mit günstigeren, aber klimaschädlicheren Methoden arbeiten. Der Innovationsdruck sinkt, der Status quo wird zementiert – ausgerechnet in einer Phase, in der die Transformation beschleunigt werden müsste.

Fachkräftemangel verschärft sich

Die Bauwirtschaft leidet bereits unter akutem Fachkräftemangel. Die energetische Sanierung von Gebäuden erfordert Spezialisten – für Wärmepumpen, Dämmung, erneuerbare Energien. Durch die Verzögerung fehlt der Branche ein Jahr, um diese Fachkräfte auszubilden und aufzubauen. Wenn 2028 die Nachfrage explodiert, wird der Engpass noch dramatischer.

Förderung und Finanzierung auf dem Prüfstand

Viele Förderprogramme und Finanzierungsmodelle sind auf den ursprünglichen Zeitplan abgestimmt. Die Verschiebung schafft Unsicherheit: Werden die Programme angepasst? Bleiben die Konditionen bestehen? Banken und Investoren zögern, langfristige Kredite für energetische Sanierungen zu vergeben, wenn die Rahmenbedingungen unklar sind.

Soziale Sprengkraft steigt

Der Klimasozialfonds ist ein wichtiges Instrument – aber wird er ausreichen? Die Wohnkosten belasten bereits jetzt viele Haushalte. Wenn ab 2028 die CO2-Preise sprunghaft steigen, könnten Heizkosten für unsanierte Gebäude explodieren. Vermieter werden versuchen, die Kosten auf Mieter umzulegen. Die soziale Akzeptanz der Klimapolitik steht auf dem Spiel.

Besonders prekär: Die Verschiebung reduziert den Anreiz für Vermieter, jetzt zu sanieren. Warum sollten sie investieren, wenn die CO2-Kosten erst später greifen? Das Ergebnis: Immer mehr Menschen leben in energetisch maroden Gebäuden – mit steigenden Nebenkosten und sinkender Wohnqualität.

Ein Jahr Vorsprung – oder ein Jahr Rückstand?

Die Bundesregierung mag die Verschiebung als Erfolg verkaufen, der Zeit für Anpassungen schafft. Doch in Wahrheit ist es ein Jahr, das wir uns weder klimapolitisch noch wirtschaftlich leisten können.

Die Bauwirtschaft braucht keine Aufschübe, sondern klare Signale und verlässliche Rahmenbedingungen. Nur so können Unternehmen investieren, innovieren und die notwendige Transformation stemmen. Die ETS2-Verschiebung ist eine verpasste Chance – für das Klima, für die Wirtschaft und für all jene, die in schlecht isolierten Gebäuden leben und arbeiten müssen.

Fazit: Der verschobene Start des ETS2 mag kurzfristig Druck herausnehmen. Langfristig verschärft er jedoch die Probleme der Bauwirtschaft und verzögert dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen. Die Zeit bis 2028 muss genutzt werden – nicht zum Abwarten, sondern zum Handeln.